Publiziert in: Marktpuls, MarktPirat
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MARKTPIRAT Nr. 121: Bei Orientierungslosigkeit stehen die Börsen recht gut da! Freitag, 14. Juni 2019 - 17:30

Inhalt: Bei Orientierungslosigkeit stehen die Börsen recht gut da!+ Aktienmarkt: Vom Zukunfts-Barometer zum Rendite-Indikator und zurück? + Swiss Re: Börsengang von ReAssure kein Game-Changer + U-blox: Gewagte Wette auf ein Handelsabkommen


Bei Orientierungslosigkeit stehen die Börsen recht gut da!

Es überwiegt die Orientierungslosigkeit - die hohe Zurückhaltung heisst nichts anderes, als dass die Börsen eigentlich recht gut dastehen!

Diese Woche habe ich gelesen, dass es Value-Aktien schwer hätten, ganz egal welchen Zeithorizont man wählen würde. Im Vergleich zu Wachstumstitel hätten Value-Aktien keine Chance. Und weiter: „Wenn die Zinsen sinken, sei Value nicht gefragt“. Zugegeben: ich hab das in einem Börsen-Brief gelesen – stimmt mich aber sehr zuversichtlich, gerade deshalb weiter Value-Aktien zu empfehlen. Die Anleger sind gemäss neuesten Befragungen (Sentix-Barometer der Frankfurter Börse) so vorsichtig wie noch nie zuvor. Weitere 14% der professionellen Investoren haben sich nach der neuesten Umfrage gänzlich von Aktien verabschiedet. Total schauen damit 41% der professionellen Marktteilnehmer lieber zu. Fast 80% der Optimisten der letzten Umfrage sind in das Lager der neutral gestimmten Akteure gewechselt. Die Orientierungslosigkeit überwiegt. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im August 2002! Genauso wenig besteht allerdings die Neigung der Anleger dazu, auf eine Abwärtsbewegung zu setzten. Unter den wenigen verbliebenen Investoren ist per Saldo und gemäss der Umfrage ein leichter Pessimismus festzustellen. Für mich ein weiterer Punkt, weswegen die Börsen im Falle stärkerer Rücksetzer an der Unterseite recht gut geschützt sind.

Auch das Bild aus den USA zeigt diese Woche dasselbe Bild: In der letzten AAII-Umfrage unter den Institutionellen Anlegern in den USA zeigten sich noch ganze 22% „bullisch“. Dies sind absolute Konträr-Indikatoren und widerspiegeln den grossen Pessimismus am Markt.

Fakt ist, wie es auch im neuesten Bericht der SNB heisst, dass die Weltwirtschaft weiterhin uneinheitliche Signale liefert. Zwar belebe sich das BIP-Wachstum im 1. Quartal und sämtliche Volkswirtschaften verzeichneten ein überdurchschnittliches Wachstum. Gleichwohl neigte die Produktion in der verarbeitenden Industrie vielerorts nach wie vor zur Schwäche. Und weiter: „stützend wirken in den Industrieländern die expansive Geldpolitik und in einigen Ländern auch die Fiskalpolitik. Der Inflationsdruck dürfte moderat bleiben.“ Auch in der Schweiz belebte sich die Wirtschaftsdynamik zu Beginn des Jahres. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich ebenfalls positiv. Insgesamt sind die Kapazitäten gut ausgelastet. Die SNB rechnet weiter mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5%. 

Fakt ist aber auch, dass sich eine unerwartet starke Abschwächung der internationalen Wirtschaft rasch auf die Schweiz überträgt. Fundamental bleiben die Börsen somit belastet. Der Welthandel bleibt politisch gedrückt. Der starke Einbruch bei den deutschen Maschinenbauaufträgen und bei den deutschen Autoabsatzzahlen in China hemmt ebenfalls vor Neu-Engagements. Italien und das Brüssel-Dilettantentum belasten ebenfalls.

Dennoch: Trump’s grösstes Interesse ist wiedergewählt zu werden! Die Auseinandersetzung mit China hat seine Beliebtheitswerte steigen lassen. Zwar exportieren die Chinesen fast viermal so viele Waren Richtung USA wie umgekehrt, aber das Wachstum vieler US-Unternehmen hängt vom Wachstum ihrer Tochtergesellschaf­ten in China ab. Im Internet (hier sind die Chine­sen weltweit führend, jeder fünfte Internet-User weltweit ist Chinese) geht die Partei klar auf Kon­frontationskurs mit den USA, was bei Erinnerung an die koloniale Vergangenheit des Westens gegenüber China kein Problem darstellt. Werden die US-Handelsaggressionen fortge­setzt, würde dies US-Konjunktur und Börse mit­telfristig schaden. Der wichtigste Faktor für die FED-Entscheidungen dürfte die Entwicklung des US-Aktienmarktes sein. Versucht Trump, den Handelskrieg jetzt zu beenden, wür­de dies sicherlich die US-Börse sofort sehr po­sitiv beeinflussen, was dann dazu führen dürfte, dass sich die US-Notenbank Zeit lässt mit einer Zinssenkung.

Trump dürfte also ein Interesse daran haben, dass der US-Aktienmarkt und die US-Konjunktur nicht zu früh nach oben drehen. Es könnte also sein, dass erst ab dem saisonal üblichen Börsentief im Herbst die Notenbank eine Zins­senkung vornehmen wird, die dann im Wahljahr 2020 zu einer besseren Konjunktur und einer Aufwärtsbewegung des von Trump gern zitierten Aktienmarktes führt. Dazu würde passen, dass man sich mit einem Ende des Handelskriegs Zeit lässt, um den bei wieder besserem Welthandel ausgelösten Konjunkturschub im nächsten Jahr zu erhalten. Bekanntlich verpassten fast alle Präsidenten die Wiederwahl, wenn die Konjunk­tur schwach war und wurden fast ausnahmslos dann zum zweiten Mal Präsident, wenn die Kon­junktur gut lief.

Sehen wir als gar nicht so negativ in die Zukunft! Die Fed dürfte im Hinblick auf rekordtiefe Arbeitslosenzahlen, den niedrigsten neuen Anträgen auf Arbeitslosenversicherung seit über 50 Jahren und Rekordwerten beim Konsumentenvertrauen, die Zinsen noch nicht kurzfristig, wie vom Markt geglaubt, senken. Ohne Zinssenkung dürfte die übliche Sommerrallye nicht weit gehen. Der Markt scheint jedoch auch gegen „unten“ gut abgesichert zu sein. Die Nullzinsen im Euroland und die Minuszinsen in der Schweiz lassen nach wie vor gar keine Alternative zu Value-Aktien zu. Die ganz einfache Frage stellen sich wohl auch die 41% der institutionellen Anleger: in was investiere ich, wenn ich die dividendenstarken Allianz-. Zürich-, Nestlé- und Roche-Aktien verkauft habe? Leider ist diese „Buy-and-Hold-Strategie“ für das Kommissionsgeschäft der Banken weiter schlecht.

 

Aktienmarkt: Vom Zukunfts-Barometer zum Rendite-Indikator und zurück?

Die Aktienmärkte haben in den vergangenen Jahren einen veränderten Charakter erhalten. Weil die Europäische Union die Zinspolitik aus sogenannten sozialen Gründen ausgeschaltet hat, verwandelte sich der Aktienmarkt vom gewohnten Zukunfts-Barometer zu einem reinen Rendite-Indikator. Aber die Zeiten haben sich verändert, weil nun die Nullzinsphase zusehends als eines der grössten Ärgernisse und eine soziale Fehlpolitik eingeschätzt werden kann. Die von Linken nun propagierte staatliche Gratisgeld-Politik baut sich grösstenteils aus den Fehlschlüssen und grundfalschen Konklusionen der missratenen Rettungspolitik von Draghi und Konsorten auf. 

In der heutigen Investmentphase bieten die Dividendenrenditen und die Dividenden-Aussichten den neuen Massstab, welcher bei Anlageentscheidungen Jahr für Jahr stärker beachtet wurden. Unterstützung erhielten die meisten Sektoren von der aufwärts strebenden Wirtschaftsentwicklung seit den Ereignissen von 2008. Schwer gelitten haben hingegen die meisten Finanzunternehmen, ausser die Versorger-Qualitäten ausspielenden Assekuranzen, welche ihre Positionen im Wettbewerb der Unternehmen erfolgreich verteidigen bis ausbauen konnten. Die Bankenwirtschaft hat sich nach den schweren Ereignissen von 2008 erfolgreich restrukturiert, auch wenn die Aktienkurse und Bewertungen weiter auf Krisenniveaus stecken geblieben sind.

Mittlerweile hat sich die Lage stark verändert, weil die neuen Töne in der Welt- und vor allem in der Handelspolitik einen weltweiten Einbruch von Investitionen in neue Produktions- und Fabrikationsanlagen ausgelöst haben. Wenn bei Gesprächen klar wird, dass ein Teil der Industrie-Unternehmen in ein ausgewachsenes Auftragsloch gefallen ist, welches von den Geschäftsleitungen weiter als temporäre Schwäche bezeichnet wird, stehen die Zeichen am Aktienmarkt nicht mehr auf Hausse und neue Allzeithochs nach Allzeithoch. Noch nahezu «im Trockenen» scheinen angesichts der ausgebliebenen Senkungen der Erwartungen für 2019 die Halbjahresberichte zu stehen kommen. Die ausgiebigen Auftragsvorräte werden aber im Laufe des Jahres aufgebraucht sein, womit schon mit der Saison der Halbjahresergebnisse der Wind drehen könnte.

Wie können tiefere Nullzinsen die Investoren vor den zu erwartenden Umsatz-Rückgängen und Gewinn-Einbrüchen schützen? Mit der anstehenden globalen Wirtschafts-Abschwächung haben die Aktienmärkte keine Wahl, wie wir denken. Die Unternehmens-Bewertungen werden wieder weniger die Grösse der Dividende und ihre Rendite, sondern wieder vermehrt dem Gang der Konjunktur zu reflektieren beginnen. Eine andere Wahl lassen die Konjunkturen, die daraus erwirtschafteten Einnahmen und Erträge oder Verluste den Märkten nicht mehr. Die Zeiten, in welchen die meisten Bewertungen über ihrer langjährigen Durchschnitten notieren, sind vorüber. Weil sich die Aussichten und die Erwartungen an das weltweite Wachstum Tag für Tag eintrüben, werden die Märkte mit Argusausgen die anstehenden Halbjahreszahlen beachten. Womit klare Gewinnrückgänge und der Wachstumsschwäche angepasste gesenkte Erwartungen den Märkten ab Mitte Juli ein böses Erwachen bescheren könnten.

 

Swiss Re: Börsengang von ReAssure kein Game-Changer

Das lange Warten hat ein Ende: Schon im Juli soll die Swiss-Re-Tochter ReAssure an die Londoner Börse kommen. Wieviel der Börsengang beim Zürcher Mutterhaus in die Kassen spült und ob auch der japanische Minderheitsaktionär MS&AD Teile seines 25%-Pakets feilbietet, darüber lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt bestenfalls spekulieren.

Dennoch hat die Aktie von Swiss Re in den letzten vier Wochen bereits einiges an Vorschusslorbeeren erhalten. Um satte 11% sprang sie nach oben - angeheizt durch Spekulationen über eine Sonderdividende oder eine Erhöhung des Aktienrückkaufprogramms.

Der Börsengang von ReAssure ändert bei Swiss Re allerdings nichts an der bisweilen enttäuschenden Entwicklung der Prämienansätze im Rückversicherungsgeschäft. Selbst die schweren Naturkatastrophen der letzten Jahre haben nur zu leicht höheren Prämienansätzen geführt. Mit anderen Worten: Aufgrund weltweiter Überkapazitäten werden Anbieter wie Swiss Re nicht länger im eigentlich zu erwartenden Ausmass für die Risiken entschädigt.

Trotz attraktiv hoher Dividendenrendite geben wir deshalb anderen Schweizer Versicherungsaktien wie etwa Zurich Insurance Group oder Bâloise daher den Vorzug.


U-blox: Gewagte Wette auf ein Handelsabkommen

An der Aktie von U-blox scheiden sich die Geister: Die einen sehen im einzigen reinen Schweizer Vertreter des Internets-der-Dinge eine interessante Spezialität, die anderen bloss einen Hersteller von Massenware, wie sie übermächtige US-Rivalen auch anbietet. Die einen begrüssen das von einer geringen Kapitalbindung geprägte Geschäftsmodell, den anderen sind die hohen damit verbundenen Forschungs- und Entwicklungskosten ein Dorn im Auge - zumal U-blox diese auch gleich noch in der Bilanz aktiviert.

Ob U-blox auf den Wachstumspfad zurückfindet, hängt nicht zuletzt vom Ausgang des Handelsstreits zwischen den USA und China ab. Denn das Unternehmen gilt wohl als das prominenteste Schweizer Opfer dieses Streits. Stark rückläufige Bestellungen seitens chinesischer Kunden verhagelten U-blox das Geschäftsjahr 2018 gehörig. Das Geschäftsjahr 2019 verspricht Linderung, wobei sich die Belebung allerdings in die zweite Jahreshälfte verzögern könnte.

Uns scheint bei U-blox zu aktuellen Kursen bereits viel Negatives eingepreist. Das macht die Aktie zu einer idealen - wenn auch gewagten - Wette auf eine Einigung der USA und China im Handelsstreit.


Autoren: Thomas Liviero, Lorenz Burkhalter, Armando Guglielmetti 


www.marktpuls.ch bietet Montag bis Freitag von 06:00 bis 23:00 Uhr exklusive Nachrichten und Berichte zum Schweizer Aktien- und Warrantsmarkt, Rating-Veränderungen samt Gerüchten. 24. Mai 2019

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